Über meine heutigen Interviewpartner freue ich mich besonders. Wie oft habe ich schon gehört, wenn man eine große Reise machen wolle, dann unbedingt in jungen Jahren, bevor Haus, Hof und Kinder da sind. Gina und Marcus beweisen, dass ein Sabbatical keine Frage des Alters ist.
Ihr Traum von der Weltreise schien zunächst nicht umsetzbar, deshalb begannen sie den Jahresurlaub für Fernreisen zu nutzen und nannten das “Weltreise auf Raten”. Irgendwann reichte ihnen das nicht mehr. Seit April 2016 sind sie nun mit Mitte Fünfzig im Sabbatical, ein Jahr haben sie um die Welt zu bereisen.
Frage 1: Wie kam die Idee ein Sabbatical zu machen?
Marcus: Mit Mitte 40 haben wir die ersten Fernreisen gemacht. Mein Arbeitgeber hat mir zwischen drei und vier Wochen Urlaub genehmigt. Das war für uns viel zu wenig. Das Fernweh wurde größer und irgendwann stellten wir uns die Frage, wie wir dieses stillen können. Eine Weltreise wäre cool, aber auch machbar? Wir steckten beide in recht guten Jobs und die Kinder studierten. Also doch lieber später.
Gina: Ich komme aus einer Seglerfamilie. Jeden Sommer waren wir mit einer kleinen Jacht vier bis fünf Wochen in der Adria unterwegs. Nachdem ich mehrere Bücher von Weltumseglern verschlungen hatte, war es mein Jugendtraum die Welt zu umsegeln. Dieser geriet im Laufe eines geregelten Familienlebens in Vergessenheit, aber die Reiselust blieb. Wir planten eine Weltreise für den Zeitpunkt, wenn die Kinder mit dem Studium fertig wären und finanziell auf eigenen Füßen stünden.
Jobbedingt wurde ich dann krank. Das zeigte uns auf schmerzliche Weise, wie schnell Gesundheit und Sicherheit bröckeln können. In dieser Situation fingen wir an, unsere Prioritäten neu zu setzen und zu überlegen, was uns wirklich wichtig ist. Das Resultat: die Weltreise, jetzt!
Frage 2: Wie lange vorher hattet ihr das Sabbatical bei euren Arbeitgebern angekündigt und wie hat man dort reagiert?
Gina: Auf meiner Arbeitsstelle war die Situation ziemlich verfahren. Ich war aufgrund einer andauernden Konfliktsituation krank geworden. Durch meine Krankheit wurde der Konflikt noch verschärft. Die Unterstützung von Vorgesetzten blieb aus, zwei Rückkehrversuche scheiterten. So musste ich mich langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass ich nach zwanzig Jahren im Öffentlichen Dienst meinen vermeintlich sicheren Job aufgeben musste.
Das gab mit den Ausschlag, die Weltreise jetzt zu machen. So brauchte nur noch einer von uns mit seinem Arbeitgeber zu verhandeln.
Marcus: Da ein Sabbatical in seiner eigentlichen Form (Ansparen von Zeit bei gleichzeitiger Verringerung des Gehalts) in der verbleibenden Zeit nicht möglich war, kam nur unbezahlter Urlaub oder Kündigung in Frage.
Ich habe meinen Arbeitgeber ein Jahr vor unserem Start der Weltreise informiert. Mein direkter Vorgesetzter hat positiv auf meinen Wunsch reagiert. Leider war dies bei unserer Abteilungsleitung nicht der Fall. Letztendlich hat meine Hartnäckigkeit gesiegt. Ich machte klar, wie wichtig mir diese Auszeit sei und deutete an, notfalls zu kündigen. Nach neun Monaten Bedenkzeit bekam ich endlich das Go, in Form eines unterzeichneten Vertrages über ein Jahr unbezahlten Urlaub.
Frage 3: Wann und wie lange habt ihr eurer Sabbatical genommen?
Unser Sabbatical hat im April 2016 begonnen und geht noch bis März 2017, ein ganzes Jahr.
Frage 4: Wo wart ihr überall und was waren eure Highlights bisher?
Schnell haben wir bei unseren Vorbereitungen gemerkt, dass auch ein ganzes Jahr nicht ausreicht, um alle Ziele zu bereisen, die wir sehen wollten. Uns war es wichtig, nicht zu hetzen, sondern uns genügend Zeit zu lassen. Also wurde die erste Brainstorming-Liste wieder aussortiert. Übrig blieben folgende Länder: Argentinien, Bolivien, Peru, Chile mit Osterinsel, Australien, Neuseeland, Thailand, Myanmar, Kambodscha, Laos und Vietnam.
Unsere Highlights waren bisher die wunderschöne Natur in den Esteros de Iberá, die Urgewalt der Iguazú-Fälle, Argentinien und die traumhafte Kulisse des australischen Outbacks. Die majestätischen, bunten Anden haben uns ebenfalls in ihren Bann gezogen. Außerdem die vielen freundlichen Menschen, die wir auf der ganzen Welt getroffen haben: die höflichen und zuvorkommenden Südamerikaner, die unkomplizierten Australier und die strahlenden Asiaten.
Frage 5: Was hat euch das Sabbatical bisher gekostet?
Um die Kosten zu Hause zu reduzieren wollten wir eigentlich unsere Wohnung untervermieten. Wegen der Größe (124 qm) und Lage am äußersten Stadtrand haben wir allerdings keine Mieter gefunden, sodass wir die Miete weiterzahlen mussten. Immerhin konnten wir uns mit unserer Vermieterin auf reduzierte Nebenkosten einigen.
Auch der Unterhalt für unsere Töchter läuft weiter. Ein Auto wurde verkauft, das andere nutzte unsere Tochter. Die privaten Krankenversicherungen wurden auf Anwartschaft gesetzt, mit niedrigeren Beiträgen. Die gesetzliche Krankenversicherung konnten wir für ein Jahr aussetzen. Andere Versicherungen wie Haftpflicht, Hausrat usw. laufen einfach weiter.
Für die Reise haben wir eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen. Die Hauptflüge haben wir mit einem Round-The-World-Ticket gebucht. Das rechnet sich für uns, da wir wussten, dass wir auf jeden Fall innerhalb eines Jahres zurückkommen würden und weil der ansonsten recht teure Flug zur Osterinsel darin eingeschlossen war. Die Tickets kosteten rund 3.300 Euro pro Person.
Über unsere laufenden Reisekosten berichten wir regelmäßig auf unserem Blog. Unser angepeiltes Budget liegt bei 1.500 Euro monatlich pro Person. In Südamerika sind wir meist drunter geblieben, dafür haben Australien und ganz besonders Neuseeland das geplante Budget überstrapaziert. Momentan sind wir in Südostasien, wo wir wieder mit deutlich weniger Geld auskommen.
Frage 6: Würdet ihr es wieder tun?
Die Weltreise war unser bestes Jahr bisher. Wir haben so viele Eindrücke gesammelt, diverse Erfahrungen gemacht und viel gelernt. Das Beste ist das Gefühl, nahezu unendlich viel Zeit zu haben und den Tag gestalten zu können, wie wir wollen. Wollen wir weiterreisen oder noch bleiben, etwas unternehmen oder nur abhängen – alles ist möglich. Wir haben Zeit und Muße, über uns nachzudenken, über unser Leben, darüber, was uns wichtig ist. Vieles hat sich dadurch für uns geklärt, seien es innere Konflikte, seien es Ziele, die wir zukünftig verfolgen wollen.
Letzte Frage: Habt ihr einen Tipp für die, die noch überlegen, ob sie ein Sabbatical machen sollen?
Wage es! Suche dir Länder aus, die du dir zutraust. Aber sei nicht zu ängstlich, viele Länder lassen sich viel einfacher bereisen, als die Informationen des Auswärtigen Amts glauben lassen. Lasse dich nicht entmutigen, wenn der Arbeitgeber zunächst nicht mitspielen will. Hartnäckigkeit führt oft doch zum Ziel, wie unser Beispiel zeigt. Ein Sabbatical bringt dir viel mehr, als nur etwas von der Welt zu sehen. Du wirst viel über dich selber lernen.
Dauer Sabatical: 12 Monate
Kosten Sabbatical: Round-The-Worl-Ticket 3.300 pro Person, ca. 1.500 € pro Monat pro Person für das Reisen plus laufende Kosten zu Hause (Miete, Auto und co)
Regelung: Kündigung und unbezahlter Urlaub
Reiseziele: Argentinien, Bolivien, Peru, Chile mit Osterinsel, Australien, Neuseeland, Thailand, Myanmar, Kambodscha, Laos und Vietnam
Wer jetzt erst richtig neugierig auf Ginas und Marcus Abenteuer geworden ist, auf ihrem Blog 2onthego nehmen sie dich zum Beispiel per Video mit durch Buenos Aires, verraten dir warum Neuseeland eine Liebe auf den zweiten Blick war und auch mit welchen Kosten du in den einzelnen Ländern rechnen musst. Wer nichts verpassen will, der folgt ihnen am besten gleich auch über Facebook und Instagram.
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