Er ist groß und stark, achtet auf seine Ernährung, geht viermal die Woche ins Fitnessstudio, er bietet mir Pasta an. James ist Kandier, lebt in Brüssel und ich werde bei ihm übernachten. Er ist mein allererster Couchsurfing Host.
Ich hatte mir ein Profil über die App angelegt, über die Locals Reisenden kostenlos anbieten bei ihnen zu übernachten. Warum? Klar, auch um Geld zu sparen, doch vor allem wollte ich das Couchsurfen ausprobieren. Es stand auf meiner “Einmal im Leben Liste” und nachdem eine Freundin kurz vor meiner
Belgien-Reise so sehr davon geschwärmt hatte, dachte ich “warum eigentlich nicht dieses Mal couchsurfen?”.
Ich wollte verstehen, was so toll daran ist und warum Leute kostenlos ihr Sofa anbieten.
Couchsurfing, wie geht das?
Das Profil anzulegen dauerte nur ein paar Minuten, noch schnell die anstehenden Reisen als öffentliche Anfragen eingetragen und schon konnte es losgehen. Es dauerte nicht lang, da hatte ich bereits einige Angebote. Mich erreichten kurze und ausführliche Nachrichten von diversen Couchsurfer-Hosts, alles Männer. Nicht eine Frau war unter ihnen, nicht ein Pärchen. Ich fühlte mich an meine früheren Online Datingplattform Zeiten erinnert. Sicher, dass es hier um eine kostenlose Couch und ein paar nette Gespräche ging?
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Ein Blick auf die Profile bestätigte mein Bauchgefühl: hier erhoffte sich wohl jemand die Option auf den Verzicht auf die Couch und auf das Teilen seines Bettes. Allesamt hatten ausschließlich Frauen gehostet. Auch wenn die Bewertungen ok waren, ließen sie Interpretationsspielraum. Und dann kam der Knüller: ein super freundliches Angebot mit dem Hinweis, ich solle doch vorher einen Blick auf sein Profil werfen und sicher gehen, dass das was für mich ist. Ich wunderte mich, was da wohl stehen soll und fand seine Leidenschaft fürs Nacktsein. Tja, da habe ich dann dankend abgelehnt.
Couchsurfing oder Sexsurfing?
Aber gut, so schnell gebe ich ja nicht auf. Was auf der “Once in a lifetime”-Liste steht, das wird auch gemacht. Muss halt die Strategie geändert werden. Von passiv zu aktiv und mit Klartext. Das Profil also geupdatet. Als Startfoto ein hübsches verliebtes Pärchenbild, im Text den Freund erwähnt und auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich nicht auf der Suche nach Abenteuern bin. Das wäre schon einmal geklärt. Nun hieß es selbst aktiv werden. Ich filterte nach weiblichen Hosts sowie Pärchen, da sollte ich ja wohl sicher sein. Einer feinen Auswahl schrieb ich individuelle Direktanfragen. Warten. Keine Resonanz. Gar keine. Nicht einmal eine Absage. Also irgendwie wollte das alles nicht so funktionieren, wie ich mir das vorgestellt hatte.
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Bis sich James meldete. Der große freundliche Kanadier, der gemeinsam mit seinem Freund Tim erst vor kurzem nach Brüssel gezogen war. Ein schwules Pärchen, mit einem einladendem Profil und guten Bewertungen: Besser ging’s nicht. Das würde also meine erste Couchsurfing Erfahrung werden.
Aufregung: meine erste Couchsufing Nacht
Auf meinem Weg zu den beiden machte sich Nervosität breit. Wie wird das wohl werden? Was ist, wenn ich die nicht mag? Ist das echt kostenlos oder erwarten die eine Revanche?
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Lang blieb das mulmige Gefühl nicht, denn schon als James die Tür öffnete, wusste ich, das kann nicht schlecht werden. Drei Nächte blieb ich bei den beiden. Ich Glückliche kam in den Genuss eines Gästezimmer ganz für mich allein. Mehr Luxus als in einem Hostel. Wir quatschten, wenn sie Abends von der Arbeit heim kamen, holten uns was beim Thai, schauten zusammen einen Film und verstanden uns super. Ich fühlte mich willkommen und bekam sogar ihr klassisches Sonntagsfrühstück serviert: Crepes mit Erdnussbutter, Banane und Schokosoße. Als es für mich weiterging setzten sie mich noch mit dem Auto am Zielort ab. Ganz sicher: das war eine super Erfahrung.
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Und trotzdem, ein wenig komisch fand ich es schon, einfach bei Fremden zu übernachten. Ich versuchte so leise und ordentlich wie möglich zu sein, so dass sie durch mich weder extra Arbeit im Haushalt noch sonst welche Nachteile hatten. Klar, immerhin war ich kostenloser Gast.
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Was macht Couchsurfing aus?
bekommen: kostenlose Unterkunft im Gästezimmer, Nutzung von Badezimmer, Wohnzimmer und Küche, ein wunderbar lecker süßes Sonntagsfrühstück, viele gute Tipps, tolle Gespräche
gegeben: Austausch über Kultur und Reiseerfahrungen, ein Bund Blumen zum Abschied und Take Away Thai für uns drei (hat keiner erwartet, mir war aber danach die Rechnung zu übernehmen)
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Einmal gut, immer gut?
Nach dieser positiven Erfahrung dachte ich mir, kann ich ja direkt weitermachen. Also ging es zu Sofie und Hilde nach Deinze. Wieder ein eigenes Zimmer plus zwei super interessierte und unfassbar reiseerfahrene Hosts. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, sind zum Straßenfest nach Kortrijk und auch nach Gent. Sofie hat so einiges für mich recherchiert und mir die Hotspots gezeigt. Ich habe sogar einen Teil ihrer Familie kennengelernt. Im Prinzip war ich für die drei Tage, die ich dort war, ein Mitglied ihres Lebens.
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bekommen: eigenes Zimmer, Nutzung von Bad, Küche, Wohnraum, Waschen meiner Kleidung, Frühstück, Abendessen, meine Gastgeber als lokale Guides, viele interessante Gespräche
gegeben: eine Flasche Wein, etwas Käse, Zeit und Gespräche
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Diesen beiden Erfahrungen folgten noch zwei weitere male Couchsurfing. Jeweils bei jungen Pärchen, bei denen ich auf der Couch im Wohnzimmer geschlafen habe. Auch in diesen Fällen waren meine Hosts super interessierte und aufmerksame Gastgeber. Keiner hat eine Gegenleistung erwartet, alle haben sie gemeinsame Unternehmungen angeboten. So kam ich zum Kajak Fahren auf der Limmert und zum typischen Antwerper Abend mit einem guten Bier in einer der vielen netten Bars bei sommerlichen Temperaturen.
Wie ist Couchsurfing?
Zusammenfassend kann ich sagen: Couchsurfing als Frau ist sicher etwas speziell, vor allem wenn man allein unterwegs ist. Es gilt Zeit in ein vernünftiges Profil zu investieren und auch ins checken der Hostprofile. Die Referenzen können helfen, aber auch die genaue Beschreibung der Person und ihres Angebots können vor bösen Überraschungen schützen. Zusätzlich muss man Zeit für die Hosts einplanen. Man reist in dieser Zeit eben nicht mehr wirklich allein. Der Gedanke hinter Couchsurfing ist es sich austauschen oder sogar etwas zusammen zu unternehmen. Es gibt zwar auch Traveler, die wirklich nur eine kostenlose Bleibe für eine Nacht suchen, doch die sind auch bei den Hosts nicht besonders beliebt.
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Als Couchsurfer profitiert man vom Austausch, bekommt vielleicht Insidertipps, lernt neue Leute kennen und klar, man schläft kostenlos vielleicht gibt es auch mal eine kostenlose Mahlzeit. Die Hosts investieren ganz deutlich mehr. Sie profitieren auf einer immateriellen Ebene von ihren Gästen. Die Gespräche können ja sehr lustig sein, man erfährt etwas über die Kultur des anderen und vielleicht ergibt sich tatsächlich mal eine Revanche in der Heimat des Couchsurfenden.
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Für mich war es eine tolle Erfahrung so gastfreundlich von vollkommen Fremden aufgenommen zu werden. Und es hat mir einmal mehr gezeigt, dass es viele gute Menschen in dieser Welt gibt. Vor allem die, die selber viel Reisen, wissen eben, dass eine kostenlose Unterkunft großartig ist und es Spaß macht neue Leute kennen zu lernen. Letzteres ist inzwischen eine der wichtigsten Motivationen meiner Reisen.
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Couchsurfing wird ganz sicher auch in Zukunft immer wieder eine Option für mich sein.
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Zurück daheim werde ich es außerdem auch versuchen, andere Couchsurfer zu hosten. Das ist ja immerhin der Gedanke der Community: nehmen und auch geben.
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Bist du auch schon einmal couchgesurft? Wie waren deine Erfahrungen? Ich bin neugierig und freue mich auf deinen Kommentar unterhalb dieses Artikels:)
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